CHAMBER PIECE, Mischa Kuball

29. Okt. – 16. Dez. 2011

kuball_karte

Mischa Kuball greift bei ZERO FOLD thematisch eine seiner eigenen Arbeiten, das Chamber Piece auf. 1996 stand diese Installation in einem direkten Bezug zum privaten Raum, eröffnete sich in der Privatsphäre einer Wohnung. In Köln basiert der künstlerische Zugriff auf der ungewöhnlichen Raumsituation der Lokalität, einem „Restraum“, der sich bei der Erbauung des Gebäudes zwischen der Gladbacher Straße und der Erftstraße ergab. Der nahezu dreieckige Grundriss des Hauses brachte den Architekten dazu, einen Raum mit fast quadratischem Schnitt vorzusehen, der sich jedoch nicht an der entlang der Fensterfront verlaufenden Straße orientiert, sondern zur Rückseite hin, was eine Anpassung des Grundrisses erforderte. Die Funktion des entstandenen Ladenlokals ist nicht eindeutig charakterisiert. Es verbindet vielmehr die Straßenseite mit dem Treppenhaus des Gebäudes – ist somit ein Transitraum, oder ein „Nicht-Ort“.
Die Besonderheit der Architektur evoziert eine installative Herangehensweise an den Ausstellungsraum, selbst bei der Präsentation von Malerei oder Zeichnung, nicht nur um eine Konzentration der künstlerischen Aussage zu erzielen, sondern auch um diesen Ort zu bezeichnen. Die Unbestimmtheit, oder positivistisch formuliert, die „Offenheit“ der räumlichen Gegebenheit nutzt Mischa Kuball.
„So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, so definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen lässt, einen Nicht Ort.“ Unsere beschleunigte „Über-Moderne“ bringt solche Orte hervor, die durch das enge Netz an Kommunikations- und Verkehrsmittel und die ständige Mobilität bestimmt sind, die dem Provisorische und Ephemeren ausliefert sind.
„Dabei gilt für den Nicht-Ort geradeso wie für den Ort, daß er niemals in reiner Gestalt existiert; vielmehr setzen sich darin Orte neu zusammen, Relationen werden rekonstruiert […]. Ort und Nicht-Ort sind fliehende Pole; der Ort verschwindet niemals vollständig, und der Nicht-Ort stellt sich niemals vollständig her – es sind Palimpseste, auf denen das verworrene Spiel von Identität und Relation ständig aufs Neue seine Spiegelung findet.“
Im Oeuvre Mischa Kuballs lässt sich das Interesse an der Thematisierung des Raumes im Raum, an der historisierenden Einschreibung und der architektonischen Transformation von öffentlichem Raum, der performativen Einbindung des Publikums und Einwohner verfolgen. Die Konstante bildet dabei das Medium Licht.

Mischa Kuball macht mit seiner Lichtinstallation in ZERO FOLD, dem Chamber Piece, die ‚Unebenheit’ des Raumes durch Projektionen sichtbar. Auf einem als erinnerte Spur sich ausdehnenden imaginären Band läuft das Lichtbild an den Wänden entlang und über die Fenster hinweg. Die Projektion geht von der konstruierten Mitte des Raumes aus, steht auf dem Schnittpunkt der beiden Raumdiagonalen, von Ecke zu Ecke. Der Künstler rekurriert auf das Kabinett als Display-Topos. Die Dunkelheit zum Schutz der lichtempfindlichen Arbeiten transferiert Kuball hier, indem er nur einen umlaufenden Balken als Präsentationsfläche nutzt.
Die Apparatur besteht aus einem Sockel und einem Drehteller auf dem ein Videoprojektor und ein Lautsprecher montiert sind. Es handelt sich also um eine zweifach gerichtete Projektion; visuell durch den Lichtstrahl des Beamers, der mit der Unschärfe des projizierten Bildes den Raum abtastet, und auditiv durch ein ratterndes Geräusch das dem Bild folgt und durch den Widerhall den Raum füllt.
Die Bilder des Filmes zeigen in einer Nahaufnahme eine Replik des so für die folgende Kunstgeschichte wichtigen Licht-Raum-Modulators von László Moholy-Nagy. Dieses Lichtrequisit, entworfen 1922/30, ist ein Apparat zur Demonstration von Licht- und Bewegungserscheinungen. Er besteht aus metallenen Scheiben, durchsichtigen Trennwände, Stäbe und ein Gitter sowie Glühbirnen. Der bewegliche Mechanismus, der teils aus durchscheinenden, teils aus durchsichtigen, teils aus durchbrochenen Materialien aufgebaut ist, erzeugt Lichtreflexe auf den umgebenden Wänden. Die motorisierte Sehmaschine erzeugt eine kontinuierliche Geräuschkulisse, die in der Installation Mischa Kuballs wiedergegeben wird.
Dieses Instrument zur Erschaffung einer Atmosphäre hat Mischa Kuball mit seinem Smartphone abgefilmt. Der Film ist im Verhältnis zum Modulator statisch, betrachtet nur die Maschine.
Der Künstler knüpft mit der Installation an historische Utopien an: das Kabinett der Abstrakten von El Lissitzky und der Raum der Gegenwart von László Moholy-Nagy, multimediale Museumsräume, die der Kustos des Provinzialmuseums Hannover, Alexander Dorner, Mitte der 1920er Jahre plante, um ein Konzept des chronologischen Rundgangs durch das Museum zu realisieren. Im Unterschied zu Lissitzkys realisiertem Raum sollten im Raum der Gegenwart Originale und Reproduktionen ausgestellt werden. Der Raum war dazu bestimmt, die kulturelle Entwicklung der Industriegesellschaft zu illustrieren. Das Projekt wurde allerdings nicht abgeschlossen. Heute existieren nur Rekonstruktionen, wie auch vom Licht-Raum-Modulator.

Die atmosphärische, künstlerisch ideell aufgeladene Weltanschauung Moholy-Nagys nimmt Mischa Kuball als Zeitzeichen, in dem er das Lichtrequisit als ‚iphone-movie’ aufnimmt – mit dem Gerät, das als Metapher für die aktuelle Mediengesellschaft bezeichnet werden kann. Medial als Videoprojektion verräumlicht, erhält sie durch die Einführung eines Vektors raumbildende Bedeutung, die Bewegung des Projektionsstrahles führt zur narrativen Erschließung des Raumes:
Der so konkret und symbolisch konstruierte Raum ist ein definierter Ort.

Arne Reimann

Zitat: Marc Augé: Ort und Nicht-Orte, Frankfurt a.M. 1994, S. 92 und ebd., S. 93f